Mehrheit des Kreistags lehnt Ausruf des Klimanotstandes ab

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Grüne und Linke verlassen nach Verhinderung der Abstimmung den Sitzungssaal

In der Kreistagssitzung am Donnerstag lehnen CDU, SPD, AfD und FDP das Ausrufen des Klimanotstandes ab und winken stattdessen einen selbstlobenden, unverbindlichen Antrag der GroKo durch. Der in der Zielsetzung ambitioniertere und sich an den Antrag in der Stadt Marburg orientierende Antrag von Grünen und Linken (s. Hintergrund-information unten) , der dort mit großer Mehrheit im Umweltausschuss der Stadt Marburg zur Annahme empfohlen wurde, wird im Kreistag trickreich nicht abgestimmt.

Nachdem der Kreistagsvorsitzenden Detlef Ruffert, SPD den Antrag auf Einzelabstim-mung der einzelnen beantragten Maßnahmen des Antrags durch Änderung der Abstimmungsreihenfolge verhinderte, verließen Grüne und Linke unter Protest den Sitzungssaal. Die Nichtbeschlussfähigkeit nach Fehlen der Hälfte der SPD—Abgeord-neten und Auszug der Linken und Grüne wurde vom Kreistagsvorsitzenden trotz Aufforderung des Piraten nicht festgestellt.

Zuvor hatte die Landrätin Kirsten Fründt, SPD in ihrem Schlusswort ausführlich gelobt, was der Kreis schon alles für den Klimaschutz tut. Doch mit dem Ausrufen des Klimanotstandes und einer ambitionierteren Zielsetzung wollten Grüne und Linke, so wie in vielen anderen Städten und Ländern geschehen, feststellen, dass ein „Weiter so“ nicht ausreicht, um die Erderwärmung auf das in Paris vereinbarte 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Im fogenden dokumentiere ich meine Rede zur Antragsbegründung:

Uns Grüne ist bewusst, dass der Begriff „Klimanotstand“ als Antragstitel dramatisch wirkt. Und das ist auch gut so, denn er soll ja aufrütteln! Das Ausrufen des Klimanotstands signalisiert: Es reicht nicht, was derzeit getan wird, vor allem im Sinne der nachfolgenden Generationen muss es deutlich mehr werden.

Aber der Begriff Klimanotstand ist weder neu, noch im Ursprung deutsch und auch wir Grüne können ihn nicht als unsere Erfindung beanspruchen. Er wurde als „Climate Emergency“ schon vor zehn Jahren verwendet. Vor allem seitdem Ende des letzten Jahres die internationalen Experten und Wissenschaftler des Club of Rome vor dem europäischen Parlament ihren „Climate Emergency Plan“ vorgestellt haben, haben sich weltweit schon eine ganze Reihe von Städten u.a. in Australien, Italien und Österreich deren Zielsetzung mit dem Ausrufen des Klimanotstandes angeschlossen.

Und sogar Staaten haben dies getan. Das bekanntermaßen völlig zerstrittene Britische Unterhaus überraschenderweise gar einstimmig.

Uns Grüne ist auch bewusst, dass es nicht bei einem symbolischen Akt wie diesem bleiben darf. Es geht ums Handeln, ums verstärkte und nachhaltige Handeln.

Wir haben in den letzten zehn Jahren schon viel auf dem Weg gebracht, gute und sinnvolle Maßnahmen im Sinne des Klimaschutzes. Und wir haben uns, wie Land, BUND, EU und UN Ziele gesetzt. Doch die wissenschaftliche Bewertung der aktuellen Entwicklung zeigt auf, dass wir die Klimaschutzziele verfehlen werden und die Anstrengungen massiv verstärken müssen. Viele Signale weltweit sind dramatisch: Extremniederschläge und Dürren, Stürme und Waldbrände. Die Schmelze von Meereis hat dieses Jahr extrem früh eingesetzt, der auftauende Permafrostboden setzt zusätzlich klimawirksame Gase frei.

Und auch bei uns kann jeder, der mit offenen Augen durch die Natur geht, die Folgen erkennen: Die Dürre im letzten Jahr hat viele Baumarten geschädigt und wirkt bis heute: Viele Lärchen wurden nicht mehr grün, junge Rotbuchen sind vertrocknet, Schädlinge und Schadpilze befallen die geschwächten Bäume, der Ahorn leidet unter der Rußrindenkrankheit, die Eiche unter dem Prozessionsspinner, Apfelbäume unter der Apfel-Gespinstmotte.
Die Hauptnutzbaumart Fichte ist massiv vom Borkenkäfer befallen.

Dabei ist es bei uns in Mittelhessen nicht mal so dramatisch wie in anderen Regionen, die immer noch ein hohes Niederschlagsdefizit haben und kein so kleines wie bei uns. Anderswo drohen Stürme und Brände in diesem Jahr weitere hunderte Hektar Wald zu vernichten. Um die Situation mal durch eine Relation zu verdeutlichen: Allein im letzten Jahr und allein in Brandenburg sind 640 Hektar Wald durch Dürre, Stürme und Brände zerstört worden. Dies sind 1½mal so viel wie an Waldfläche insgesamt benötigt wurden, seitdem Windräder in Deutschland aufgestellt werden.

Und diese sind meist bis zu 5fach mit klimaresistenteren Arten wieder aufgeforstet worden. In den Nachbarkreisen im Sauer- und Siegerland sind mit zig tausenden Hektar ca. ¼ der Fichtenbestände faktisch abgestorben. Jeder Förster kann davon berichten, unter welch extremen Stress unser Wald steht.

Ja, bevor der Einwand kommt, es ist uns auch bewusst, der letzte Sommer war Wetter, der gestrige Hitzetag auch. Klimaveränderung hingegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich bestimmtes Wetter, solch Wetterextreme häufiger einstellen. Bei uns wie erlebt, anderswo wie bspw. in Indien noch viel extremer. Genau diese erhöhte Wahrscheinlichkeit von Wetter-extremen prognostizieren die Klimaforscher seit Jahrzehnten und mit zunehmender Treffsicherheit.

Und es ist uns Grüne bewusst, dass CO2-Anstieg und Klimaveränderung nur zwei Aspekte einer komplexen Entwicklung sind. Unser Ressourcenverbrauch an fossilen Stoffen, die weltweite Produktionsweise für unseren Konsum, die Entsorgung des dabei entstehenden Abfalls in Luft, Wasser und Erdboden gehören mit zu den Zukunftsfragen, denen wir uns stellen müssen. Und auch sie beeinflussen auf die eine oder andere Weise unser Klima.
So hat bspw. die Produktion für eiweißreiche Futtermittel in Brasilien zum einen Regenwaldrodung zur Folge, andererseits führt diese nach Verfütterung zu verstärktem Nitrateintrag in unsere Böden und letztlich das Grundwasser.

Wenn wir diese und andere teilweise daraus folgende Probleme, wie das Artensterben, nicht lösen, hinterlassen wir den nachfolgenden Generationen eine zerstörte Umwelt. Die junge Generation hat dies mit einer Klarheit erkannt, die uns kommunalpolitisch Handelnde nachdenklich machen und aufrütteln sollte. Und wir sollten und m.E. müssen diese Erkenntnis mit dem Ausrufen des Klimanotstandes weitergeben und uns selbst zu verstärkter Anstrengung verpflichten!

Und diese Verpflichtung kann sich nicht auf ein „Weiter so“ beschränken, weil wir eh schon so gut sind. Die Ziele, die wir uns setzen, müssen über die bisherigen hinausgehen, deutlich über das, was wir in den letzten zehn Jahren auf den Weg gebracht haben. Von Kiel bis Konstanz überprüfen und verschärfen Gebietskörperschaften ihre Klimaschutzziele. Diese ambitioniertere Zielsetzung hätten wir gerne in einem gemeinsamen Antrag hier beschlossen. Dieser ist nicht gelungen. Wir bieten daher dem Kreistagsabgeordneten an, unter den Punkten denen zuzustimmen, die jeder für gut und richtig hält. Für unsere Fraktion beantrage ich Einzelabstimmung unserer Punkte.

Die Ausrufung des Klimanotstandes kann daher nur ein erster Schritt sein. So wünschen wir uns als nächsten für unsere Kreisverwaltung, dass sie sich das Ziel setzt, wie das SPD-geführte Bundesumweltministerium und die schwarz-grüne Landesverwaltung bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu arbeiten, um damit ein klares Signal für alle Kommunen und die Bürger im Landkreis zu setzen.

Lasst uns den Schwung, den die Jugend in die Debatte gebracht hat und der von einer großen Zahl an Wissenschaftlern und vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen unterstützt wird, für unser eigenes mutiges Handeln nutzen!

Vielen Dank!