Das überlaufende Fass

Herbizid ausbringen

Wir hören seit ein paar Wochen: Jetzt reichts! Wir haben es satt!
Die Streichung der Agrardieselsubventionen bringt das Fass zum Überlaufen!

Die Bauern haben recht: Immer mehr Betriebe geben auf, immer mehr Höfe verschwinden. Das Höfesterben hält seit 60 Jahren unvermindert an. Immer größere Flächen müssen für einen auskömmlichen Betrieb bewirtschaftet werden. Zur Zeit meines Agraringenieurstudiums Anfang der 80er waren es 540.000 Betriebe, die durchschnittlich 21 ha bewirtschafteten. Heute sind mit 256.000 es weniger als die Hälfte und durchschnittlich 65 ha.

Doch diese statistischen Zahlen geben nur ein verzerrtes Bild wieder. Statt Solidarität unter den Landwirten akquirieren große Agrarholdings zum Teil in Hand von Lebensmittelkonzernen immer mehr landwirtschaftliche Flächen und kannibalisierend ganze Betriebe. Sie bewirtschaften 1,8 Mio. ha. Insgesamt 80 Prozent der EU-Agrarförderung landet bei Großbetrieben. Masse zählt. Es wird mehr unter großem Chemieeinsatz produziert, als bei uns verzehrt wird, was den Lebensmittelkonzernen einen massiven Preisdruck ermöglicht.

Eine über Jahrzehnte verfehlte Agrarpolitik hat das Fass überlaufen lassen. Die Ausrichtung der Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union ist ein historischer Geburtsfehler. Rund 32 Prozent des aktuellen Gesamtbudgets werden noch heute hauptsächlich nach Fläche vergeben – nicht nach den gesellschaftlichen Leistungen der Landwirt:innen. Weniger als 2 Prozent der Betriebe kassieren ein Viertel aller Direktzahlungen.

In den letzten zwei Jahrzehnten hatte 16 Jahre die Union das Landwirtschafts-ministerium inne. Zumeist die CSU, die in der BRD auf insgesamt 31 Jahre kommt. In der DDR übrigens zumeist die Demokratische Bauernpartei Deutschlands, die in der CDU aufging. Es ist heuchlerisch, nun so zu tun, als ob das überlaufende Fass nicht von der Union aufgefüllt wurde und geistlos das „Weiter so wie bisher“ irgendetwas verbessern würde. Das ist billiger Populismus um kurzfristig politische Punkte zu machen. Doch das nutzt wieder langfristig nur antidemokratischen Kräften. Denn noch heuchlerischer unterstützt die AfD mit „Es reicht“-Plakaten die Bauern, will aber gleich alle Agrarsubventionen streichen.

Wer`s willen will, erfährt, dass die wesentlichen Probleme wo anders liegen. Vor allem sind es die nicht auskömmlichen Erlöse. An den Erzeugerpreisen haben die KFZ-, Steuer- und Agrardieselsubventionen nur einen kleinen Anteil. Manche Betriebe beantragen sie nicht mal, ähnlich wie bei Sozialhilfeleistungen und ersparen dem Staat so Millionen. Durch Subventionen niedrige Erzeugerpreise werden schnell von den Lebensmittelkonzernen abgeschöpft. Oder von Traktorenhändler und -herstellern. Für neue Traktoren und landwirtschaftliche Maschinen wird jedes Jahr mehr gezahlt, als es Agrarsubventionen gibt: rund 6 Mrd. EU- zzgl. gut 2 Mrd. Bundessubventionen. Übrigens auch eine Mrd. für Tierwohl und nicht wie Herr Wüst jüngst behauptete nichts für Tierwohl.

Es ist schwer erträglich, wenn ein Finanzminister von Gerechtigkeit und Solidarität spricht, nur Agrarsubventionen streicht, aber nicht an Flugbenzin und Dienstwagen-privileg rangeht, sogar zeitgleich zusätzliche Steuererleichterungen für Reiche will. Der aktuelle Fokus auf Agrarsubventionen lenkt von den eigentlichen Problemen ab und die Trittbrettfahrer können anstelle der tatsächlich wichtigen Themen noch mit Migration, Impfungen und all dem in der öffentlichen Wahrnehmung draufsatteln.

Denn für die Lieferanten der Landwirte ist es genauso bequem, wie für deren Abnehmer, dass sich der Protest auf die Subventionskürzungenkonzentriert. Übrigens auch für den Bauernverband, dessen Politik selten den kleinen Landwirten genutzt hat, was ja die Gründung der konkurrierenden Verbände bewirkte.

Wir Grüne stehen für Solidarität mit der bäuerlichen Landwirtschaft, mit allen die sich mit großem Engagement und angesichts der immensen Herausforderungen mit Kreativität ihr Auskommen erwirtschaften und unsere landwirtschaftlich geprägte Kulturlandschaft bewahren. Stehen zu denen, die Klasse statt Masse wollen.

Doch dem Antrag der Linken können wir nicht zustimmen. Er verknüpft Handlungs-aufträge mit Resolutionen und die verschiedenen Ebenen der Agrarpolitik.

Dass im Antrag von SPD und CDU anklingt, dass dem „Jetzt reichts!“ ein „Weiter so!“ folgen kann, ist auch nicht genug. Die Agrarpolitik muss zu unseren Grundwerten zurückkehren und dieses sich auch im Handeln in unserem Kreis wiederfinden. Es braucht bspw. ein Agrarstrukturgesetz, aber nicht noch zusätzlich Kürzungen bei Förderprogrammen.

Daher will unser Änderungsantrag im Sinne des Artikel 20a unseres Grundgesetzes, dass das oberste Ziel auch aller landwirtschaftlichen Maßnahmen unseres Landkreises in Verantwortung für künftige Generationen der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere steht. Dieses Ziel muss der Maßstab für alle Unterstützungsleistungen sein.

Zudem: Mit denjenigen, die bei ihren Protesten sich aller Verpflichtungen zum Erhalt unserer Umwelt und für Tierwohl entledigen wollen, einzelne gar gleich der Demokratie und unserer Grundwerte können wir nicht solidarisch sein. In unserem Landkreis sind immer noch Galgen und Plakate mit solchen Zielen zu sehen.

Ich komme zum Schluss: Uns alle werden derzeit große Lasten aufgrund der nicht in den Haushalten einplanbaren Folgen aus Pandemie und Kriegen zusammen mit Steuergeldverschwendungen durch CumEx, Maskendeals, Maut u.m. rasant gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise aufgebürdet und befeuern so Verteilungskämpfe. Von den gestiegenen Lebensmittelpreisen kommen nach zwei guten Jahren nun nicht mehr genügend bei den Landwirten an. Die Gewinne landen woanders. So einige andere Berufsgruppen demonstrieren derzeit ebenso. Es wird von der Politik mehr als Solidaritätsbekundungen brauchen.