Kommunen für Biologische Vielfalt – Ohne den Landkreis 18. November 201719. November 2017 Der Landkreis Marburg-Biedenkopf macht schon genug, so die Meinung der großen Koalition bei der letzten Kreistagssitzung. Die Initiative der Grünen im Kreistag mit einer Unterzeichnung der Deklaration „Biologische Vielfalt in Kommunen“, die über 250 Kommunen schon getätigt haben, die Wichtigkeit des Themas zu unterstreichen, wurde regelrecht abgekanzelt. Dabei ging es ja gerade darum, die bestehenden Aktivitäten hervorzuheben, aber angesichts des dramatischen Rückgangs der Artenvielfalt auch festzustellen, dass „all diese Aktivitäten […] den weiter voranschreitenden Artenschwund nicht wesentlich aufhalten“ konnten. Dies hatte der Landkreis noch vor einem Jahr beim Startschuss zur Umsetzung der „Hessischen Biodiversitätsstrategie“ selbst festgestellt. Erstaunlich war es, wie der Antrag gemeinsam mit dem der Linken zu „Blühenden Landschaften“ noch vor der Antragsbegründung durch die Antragssteller von Landrätin und Kreitagsvorsitzendem regelrecht niedergemacht wurde. Die Antragssteller wurden von ihnen als unwissend und nervend abgebürstet. Dazu kam noch ein niveauloser Redebeitrag aus der CDU, bei dem nach fast 30 Jahren auf die SED-Geschichte der Ost-Linken im Bezug auf die Diskrepanz zwischen „Blühenden“ und Agrarlandschaften abgehoben wurde. Insgesamt ein unwürdiges Schauspiel und dem Thema, das in der Fachwelt als existentiell betrachtet wird, völlig unangemessen. Besonders bemerkenswert war vor allem, dass der Kreitagsvorsitzende kurz zuvor noch das Recht und die Pflicht des Kreistages betont hatte, die Verwaltung zu kontrollieren, hierzu Berichte zu verlangen und auf Versäumnisse hinzuweisen – auch wenn vieles gut läuft, aber etwas noch besser werden könnte. Genau dies war ein Ziel der Anträge, wie auch ganz konkrete Anregungen für Maßnahmen. Doch diese kamen für die GroKo von der falschen Seite und die Unterzeichnung der Deklaration wurde als Arbeitszeitverschwendung betrachtet. Die Arbeitszeit wird lieber für Konferenzen und sogenannte Bürgerbeteiligungsformate ver(sch)wendet, die nicht selten ins Leere laufen. Vor gut einem Jahr gab es entsprechende Formate auch zum o.g. Startschuss zur Umsetzung der „Hessischen Biodiversitätsstrategie“. Zu dieser lädt das Land Kommunen und Verwaltungen zum Mitmachen im Bündnis „Biologische Vielfalt in Kommunen“ ein. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf bleibt auf Wunsch der GroKo diesem nun fern. Mit meinem Redebeitrag ging ich auf einzelne der genannten Aspekte ein und begründete zudem unseren Antrag inhaltlich. ————- Oberflächlich betrachtet mag mancher meinen, der Antrag der Linken und der der Grünen können doch zusammen behandelt, gar zusammengelegt werden. Beide beziehen sich auf eine dramatische Entwicklung in der Natur, irgendwie spielen Bienen und andere Insekten eine Rolle. Und bei beiden kann die GroKo darauf verweisen, dass der Kreis doch schon so viel getan hat und tut und sich damit beide Anträge doch erledigt hätten. Doch dem ist nicht so: Es sind zwei verschiedene dramatische Entwicklungen. Bei diesem Antrag der Linken geht es ganz konkret insbesondere um die für unsere Ernährung entscheidende Schlüsselart Biene. Hingegen ein konkretes Beispiel beim Thema Biodiversität: Der Gletscher-rückgang lässt Flüsse versiegen, Kraftwerke heizen die verbliebenen „Rinnsale“ auf, die Artenvielfalt geht zurück. Bei uns wird über das entstehende Problem der Schifffahrt berichtet, am Ganges geht es um die zusammenbrechende Nahrungsversorgung des Subkontinents. Dies nur ganz kurz zur Einordnung. Wie beim folgenden Antrag der Groko zur Flüchtlingsarbeit wird bei diesem um Berichte gebeten, um Schlussfolgerungen ziehen zu können. Es ist auch gut und richtig, dass die Linken konkrete Handlungsoptionen benennen. Es ist ja bekannt und gut, wenn auch das ein oder andere schon läuft, ist das kein Problem. Denn auch bei der Essenz gibt es eine Gemeinsamkeit mit dem folgenden GroKo-Antrag: Es wurde schon viel getan, aber es gilt angesichts der immensen Bedeutung „in den Bemühungen nicht nachzulassen“, wie es die GroKo im Folgeantrag nennt. Zu unserem grünen Antrag: Während der Klimakonferenz in Bonn haben Wissenschaftler erneut auf die bedrohliche Wirkung des Klimawandels auf die Artenvielfalt hingewiesen. Selbstverständlich sind Landverbrauch, Umweltgifte und die Art der Ackerbewirtschaftung – u.a. Glyphosat – ebenfalls wesentliche Faktoren. Jedoch ist gerade deren Wechselwirkung mit der globalen Erwärmung fatal. Im Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum werden diese genauestens untersucht und regelmäßig erscheinen Forschungsarbeiten zu einzelnen Aspekten. Inzwischen warnen die Senckenberg-Wissenschaftler – wie in diesem Frühjahr – ganz konkret vor dem Aussterben von Tieren und Pflanzen und dabei vor allem vor einem Dominoeffekt. Wenn auch der Klimawandel nur bestimmte Pflanzenarten bedroht, so fördert er indirekt auch das Aussterben von Tieren, deren Ernährung damit gefährdet ist. Auf diese Kettenreaktion hatte der Nabu mit seinem Projekt „Mäuse für den Milan“ reagiert und unser Antrag wollte dieses beispielhafte Artenschutzprojekt auf die im Teilregionalplan ausgewiesen Schwerpunkträume im Kreis übertragen. Und wenn die seit Jahrzehnten positive Bestandsentwicklung sich nicht umkehren soll, ist dies unverändert absolut notwendig. Wer mit offenen Augen durch die Natur geht, nimmt die kontinuierliche Veränderung war. Und dass diese Veränderung keine natürliche ist und vor allem sowohl in der Geschichte der menschlichen Kultur als auch erdgeschichtlich in seiner Geschwindigkeit, ist inzwischen vielfach belegt und gilt für die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler als gesichert. „Der Mensch ist die dominante Ursache der globalen Erwärmung“ stellen in einem aktuellen Klimareport 13 US-Behörden fest und widersprechen damit der in weiten Teilen der Regierung von US-Präsident Trump vertretenen Position zum Klimawandel. „Unsere Zeit ist nun die wärmste in der Geschichte der modernen Zivilisation und die Erderwärmung ist Realität.“ Und die hat ihre Wirkung. Mit offenen Augen durch die Natur gehen, damit meine ich nicht austrocknende Regionen rund um das Mittelmeer oder gar ferne Länder in Afrika, Asien und Südamerika, sondern hier bei uns, bspw. die kontinuierliche Verlagerung der Obstbaumblüte, mit zunehmender Gefahr von Nachfrösten und fehlender Bestäubung, einwandernden Schadinsekten aus dem Süden und in diesem Jahr – ganz markant – mit einem massiven Rückgang von Insekten. Das ist natürlich nicht so spektakulär wie in diesem Jahr mehrere tausende Hektar zerstörter Wald bei den Bränden in Frankreich, Spanien und Portugal, übrigens ein Vielfaches von dem was in Europa insgesamt für Windenergie an Wald gerodet wurde und auch der wird wieder aufgeforstet. Unbestritten, in unserer Region wird viel für die biologische Vielfalt getan, gerade in den letzten 15 Jahren mit der Renaturierung der Lahn insbesondere von Biedenkopf bis Cölbe. Und auch in der Umweltbildung: Anlässlich des UN-Jahres der Biodiversität 2010 lief an der Uni Marburg Vortragsreihe im Wintersemester 2010 / 2011 Veranstaltungsreihe „Vielfalt des Lebens – Biodiversität im Alltag“ u.a. unter Beteiligung der Grünen Schule, des Regierungspräsidiums und des Landkreises. Anfang 2014 wurde ein gemeinsames Projekt der Europaschule Gladenbach und des Landkreises Marburg-Biedenkopf „Blühende Landschaften“ vorgestellt. Viele beispielhafte Projekte hat der Landkreis mit der Agentur Naturentwicklung Marburg-Biedenkopf umgesetzt. „Doch all diese Aktivitäten konnten den weiter voranschreitenden Artenschwund nicht wesentlich aufhalten, zumal die Eingriffe durch den Menschen weiter ansteigen.“ Nein, keine Aussage von mir! Dies ist ein Zitat aus der Einladung des Landkreises zur Kreiskonferenz zur Biodiversität und zur Bürgerbefragung zur Biologischen Vielfalt im letzten Jahr. Und bei dieser Bewertung steht der Kreis nicht alleine da. Seit 1992 gibt es ein Übereinkommen der UN zum Erhalt der biologischen Vielfalt, aufgrund dessen sich auch die EU Ziele gegeben und grandios verfehlt hat. 2010 wurde das Übereinkommen mit Frist 2020 erneuert. Am 2. Juni 2016 wurde mit der Konferenz im Landkreis der Startschuss zur Umsetzung der „Hessischen Biodiversitätsstrategie“ gegeben. Bei dieser Gelegenheit hat der Landkreis Marburg-Biedenkopf bekräftigt, den Erhalt der Artenvielfalt durch weitere Maßnahmen aktiv und nachhaltig auf den Weg zu bringen. Darauf können und wollen wir mit unseren Anträgen aufbauen. Die aktuelle Entwicklung zeigt die Notwendigkeit auch hier in den Bemühungen nicht nachzulassen, sondern die Anstrengungen massiv zu verstärken.