Freihandelsabkommen gefährdet kommunale Daseinsvorsorge

In der Kreistagssitzung vor Weihnachten am 19.12.2014  haben wir Grüne einen Antrag eingebracht, der wie schon in vielen anderen Kommunen in ganz Deutschland auf die Gefahren, die die Freihandelsabkommen für die kommunale Daseinsvorsorge , aber auch den kulturellen, den Gesundheits- und den Bildungsbereich mit sich bringen.

Seit dem Juni 2009 wird hinter verschlossenen Türen das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA, seit Juni 2013 das der EU mit den USA und weiteren Staaten verhandelt. Immer wieder sind davon Einzelheiten in die Öffentlichkeit gedrungen.  Schließlich ist es dem ARD-Hauptstadtstudio am 14. August 2014 gelungen den 519 Seiten langen ausgehandelten CETA-Vertrag, der als Blaupause für TTIP gilt vor Abschluss der Verhandlungen als PDF-Dateien ins Internet zu stellen.

Viele Kommunen, wie auch kommunale Verbände haben seitdem  gefordert, dass nachverhandelt werden muss, dass dies transparent geschehen muss, dass die wirtschaftliche Betätigung der der Kommunen für die Daseinsvorsorge und die kommunale Infrastruktur nicht eingeschränkt werden darf, dass Umwelt und Sozialstandards nicht gefährdet werden dürfen.

Diesen Forderungen sollte sich der Kreistag mit unserem Antrag anschließen. Leider hat der  Änderungsantrag der GroKo genau diese zentralen kommunalen Forderungen gestrichen. Der Appell wurde zwar einstimmig beschlossen, aber in einer sehr abgeschwächten Form.

Unser Ursprungsantrag:

Der Kreistag des Landkreises Marburg-Biedenkopf appelliert an

–      die Kommission der Europäischen Union

–      das Parlament der Europäischen Union

–      die Bundesregierung

–      die Landesregierung Hessen

sich im Zuge der Verhandlungen um das Transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA TTIP (Transatlantic Trade and Investment partnership), des internationalen  Dienstleistungsabkommens TISA (Trade in Services Agreement), sowie auch beim bereits verhandelten Freihandelsabkommens mit Kanada CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) uneingeschränkt für die kom- munale Selbstverwaltung, den Schutz und Fortbestand der kommunalen Daseinsvorsorge und der kommunalen Kultur- und Bildungspolitik einzusetzen.

Der Kreistag stellt fest, dass:

  1. die bisherigen Verhandlungen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt wurden und diese Intransparenz das Misstrauen in die Verhandlungsführung der  EU-Kommission erhöht hat und die demokratischen Grundsätze untergräbt,
  2. die geplanten Abkommen nach derzeitigem Kenntnisstand geeignet sind, die bisherige Form kommunaler Daseinsvorsorge und das Subsidiaritätsprinzip zu gefährden und negative Auswirkungen für das kommunale Handeln, bei der öffentlichen Auftragsvergabe, einschließlich der Delegation von Aufgaben an kommunale Unternehmen, der Förderung und Unterstützung von Kultur und der Erwachsenenbildung (z.B. über Volkshochschulen) wie auch der Tarifgestaltung und die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte des Landkreises Marburg- Biedenkopf,
    1. haben können,
    2. die geplanten Abkommen der Eröffnung von Marktzugängen im Dienstleistungssektor dienen, insbesondere auch der öffentlichen Dienstleistungen, und die Organisationshoheit der Kommunen gefährden, darunter nicht liberalisierte Bereiche, wie die kommunale Wasserver- und entsorgung, die Bereiche Abfall und ÖPNV, soziale Dienstleistungen einschließlich des Gesundheitsbereiches sowie die öffentlichen Dienstleistungen im Kultur und Bildungsbereich,
    3. durch die Verwendung von sogenannten Negativlisten, die Rekommunalisierung von Dienstleistungen deutlich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht.

Der Kreistag bedauert, dass die Europäische Bürgerinitiative EBI zu TTIP nicht zugelassen wurde.

Der Kreistag fordert gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbände Deutscher Städtetag, Deut- scher Landkreistag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund sowie dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) (Positionspapier vom 01.10.2014), dass:

  1. die Verhandlungen mit der notwendigen Transparenz- und Öffentlichkeit zu führen sind,
  2. die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der Daseinsvorsorge und der kommunalen Infrastruktur – auch nicht durch die Verwendung sogenannter Negativlisten – eingeschränkt werden darf und Spielräume für eine Auftragsvergabe nach sozialen, ökologischen oder regionalen Kriterien nicht verschlechtert werden dürfen,
  3. Umwelt- und Sozialstandards und die Möglichkeiten politischer Gestaltung nicht durch Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren parallel zur bestehenden Gerichtsbarkeit gefährdet werden dürfen.

Insbesondere wird die Bundesregierung aufgefordert, im Ministerrat der Europäischen Union im Be- reich der Dienstleistungen aktiv für so genannte Positivlisten einzutreten, die explizit nicht die kommu- nale Daseinsvorsorge sowie den Kultur-, den Gesundheits- und Bildungsbereich tangieren. Die An- wendung von Negativlisten im bereits verhandelten Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) darf nicht gebilligt werden. Hier muss nachverhandelt werden.

Begründung:

Derzeit wird von den USA, der EU und 20 weiteren Mitgliedern der Welthandelsorganisation über den Abbau von Handelshemmnissen im öffentlichen Dienstleistungssektor verhandelt, um neue Markt- chancen zu eröffnen.

Wir fürchten, dass durch die Verhandlungen elementare Interessen des Landkreises Marburg- Biedenkopf verletzt werden. Der Antrag ist ein Beitrag dazu, die Öffentlichkeit auf diese drohenden Risiken aufmerksam zu machen und die beteiligten Verhandlungspartner zur Änderung von Vertrags- inhalten zu bewegen.